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„BEWEGEND“

FAZ

„UNGESCHÖNT“

FILMSTARTS.DE

Hochsommer in der Mecklenburgischen Provinz. Fünf Häuser, eine Bushaltestelle, Kühe und ringsum nichts als Felder. Christin, 24, (Saskia Rosendahl) lebt auf dem Bauernhof ihres langjährigen Freundes Jan, 25 (Rick Okon). Die Aufbruchsstimmung der Nachwendejahre, die ihre Kindheit prägten, ist längst dahin und auch in ihrer Beziehung gibt es schon lange keine Liebe mehr. Ihr Vater säuft.

Den Kirsch hat auch Christin immer griffbereit unterm Autositz. Unter der flirrenden Hitze des Sommers scheint die Zeit stillzustehen. Da taucht Windkraftingenieur Klaus, 46, (Godehard Giese) aus Hamburg auf, und die Welt beginnt sich wieder zu drehen.

Von der Idylle, der Weite, der Enge der Provinz und vom Aufwachsen in Einsamkeit erzählt Sabrina Sarabi (Buch und Regie) in ihrem neuen Kinofilm NIEMAND IST BEI DEN KÄLBERN, nach dem gleichnamigen Erfolgsroman von Alina Herbing.

Interview mit Sabrina Sarabi

Wie sind Sie auf den Roman von Alina Herbing gekommen und was hat Sie daran gereizt?

Ich wollte gerne einen Roman verfilmen, damit fing es an. Nach dem sehr persönlichen ersten Film hat es mich gereizt, einen Stoff zu verfilmen, den ich mir erst zu eigen machen muss. In der Schnittphase von PRÉLUDE habe ich angefangen, ganz viel zu lesen und die ‚Kälber’ hatte mir mein Produzent gegeben. Ich habe das Buch so richtig in einem Rutsch runtergelesen und fand es großartig. Diese merkwürdige junge Frau, die sich so absolut bescheuert verhält, aber etwas total Sanftes hat, hat mich sofort gefesselt. Und im Unterschied zu anderen Büchern, die mir gut gefielen, hatte ich hier sofort den ganzen Film vor Augen.

Nach den ehrgeizigen Selbstoptimierern in PRÉLUDE geht es jetzt in NIEMAND IST BEI DEN KÄLBERN eher um die Ziel- und Orientierungslosen: Sind das für Sie zwei Facetten Ihrer eigenen Generation?

Wahrscheinlich kann man das schon so sagen. Alina Herbing ist Jahrgang 84 und hat im Buch ihre eigenen Erfahrungen mit dem Landleben verarbeitet. Das Drehbuch ist dann wiederum später entstanden, wodurch natürlich wieder neue Einflüsse aus der Gegenwart hinzukommen. Also das hört jetzt nicht bei meiner Generation auf. Dadurch, dass im Osten viel weggebrochen ist, auch was soziale Strukturen auf dem Dorf angeht, und mit dem, was an Arbeit geboten wird, wird es für junge Leute immer langweiliger auf dem Land zu bleiben und gleichzeitig ist die Stadt natürlich in den letzten Jahrzehnten durch das Internet viel näher gerückt als früher. Aber ich glaube diese Ödnis des Landlebens, die gibt es schon lange.

Selbst auf dem Land fällt auf, dass ein Großteil der Kommunikation auf die Handys verlagert ist. Ist das auch ein Kommentar zu Ihrer Generation und den modernen Kommunikationsformen?

Beschäftigt hat mich das schon: überall diese schweigenden Männer, die nie mit Christin reden. Es stimmt schon, da sind oft Geräte zwischengeschaltet. Trotzdem frage ich mich, gab es früher eine Zeit, in der man viel über alles geredet hat? Haben wir uns als Jugendliche mit vierzehn Jahren wirklich über Probleme unterhalten? Und wenn ich meine Großeltern und meine Mutter, die in den 50ern aufgewachsen ist, anschaue, dann haben die sich auch nie wirklich unterhalten, auch wenn das in der Nachkriegsgeneration noch mal andere Gründe hatte.

War die Romanautorin Alina Herbing am Schreiben des Drehbuchs beteiligt?

Gar nicht. Sie hat uns sehr vertraut und wollte auch nicht involviert sein. Aber sie war immer für mich ansprechbar, wenn ich Fragen hatte und hat mir ihr gesamtes Recherchematerial zur Verfügung gestellt. Bevor ich angefangen habe zu schreiben, bin ich alle Orte abgefahren, die Alina inspiriert haben. Ich habe also so eine kleine Roman-Tour gemacht, die sie mir zusammengestellt hatte. Auf Vermittlung von Fritz Habekuss, Redakteur bei der ZEIT, der aus Brandenburg stammt, habe ich dann eine Woche bei seinen Eltern gelebt, richtig auf dem Dorf und ich habe dort auch mehrere Leute kennengelernt, die Bauernhöfe bewirtschaften, aber auch eine Schäferin und eine junge Dorfschullehrerin oder die Bläsergruppe Pritzwalk. Und ich bin dann weiter rumgefahren, alleine. Diese Zeit auf dem Land war am prägendsten für die Geschichte. Irgendwann habe ich Alina eine Drehbuchfassung gegeben, in die sie ihre Anmerkungen geschrieben hat. Das alles habe ich als sehr schönen Prozess empfunden, das Arbeiten mit ihr. Für sie war das etwas Neues, das sich aus ihrem Buch entwickelt hat und sie konnte sehr großzügig loslassen.

Wurden die Stationen dieser Roman-Reise später auch zu den Locations der Verfilmung?

Nein, schon deshalb, weil es viele Orte gar nicht mehr gab. Beispielsweise gibt es an der Stelle des Plattenbaus, in dem der Vater lebte, nur noch eine grüne Wiese.

Während die Geschichte im Roman im Osten Deutschlands verortet ist, wirkt es im Film eher so, wie man es auch aus amerikanischen Coming of Age-Geschichten kennt, die der öden Provinz entfliehen wollen. War das eine bewusste Entscheidung?

Nein, am Anfang habe ich den Roman sehr genau durchgearbeitet, ihn dann aber irgendwann beiseitegelegt. Aspekte, die im Roman sehr präsent sind, traten dann automatisch zurück. Der Roman springt immer wieder in die Vergangenheit, da ist der Osten natürlich präsenter. In der Gegenwart sieht man dann mehr die Auswirkungen.

Der ganze Film wirkt sehr unmittelbar und direkt, sehr aus dem Moment heraus erzählt. Wie haben Sie das visuelle Konzept zusammen mit dem Kameramann Max Preiss entwickelt, mit dem Sie hier auch schon zum zweiten Mal zusammenarbeiten?

Dadurch dass wir schon zusammengearbeitet haben, war Max sehr früh involviert. Wichtig war uns immer, ganz nah an Christin zu erzählen. Anders als bei PRÉLUDE gab es gar keine Auflösung vorab. Ich wollte alles aus dem Moment heraus filmen. Die Schauspieler*innen sollten in ihrem Bewegungsspielraum frei sein, was dann wiederum bedeutete, dass Max unmittelbarer auf Gefühle und Stimmungen reagieren musste. Der ganze Film ist mit Handkamera gedreht, mit der Max aber dennoch sehr ruhige, schöne Bilder geschaffen hat, die demZuschauer bei aller Nähe immer noch Raum für eigene Entdeckungen lassen.

Wie kam es zu dem ja sehr dezenten Score?

Eigentlich wollte ich gar keine komponierte Musik, doch dann hat mein Produzent Jonas Weydemannmir John Gürtler ans Herz gelegt, der auch die Musik für SYSTEMSPRENGER von Nora Fingscheidt geschrieben hat. Die Arbeit war zunächst ergebnisoffen. In einem langen Prozess, der schon während des Drehs im letzten Sommer begann, ist dann diese sehr subtile Musik entstanden, die gar kein klassischer Soundtrack ist, sondern eher ein psychoakustischer Sound, in den die monotonen Geräusche wie das ewige Zirpen der Grillen oder das Rotieren der Windräder eingearbeitet sind.

Das ist schon Ihre zweite Zusammenarbeit mit Saskia Rosendahl.

Bei PRÉLUDE hatten wir nur zwei Drehtage zusammen, haben uns aber so gut verstanden, dass wir beide Lust hatten, wieder zusammen zu arbeiten. Mir gefällt ihre Art zu spielen sehr, diese innere Ruhe, dieses ganz bei sich zu sein. Dass sie das Drehbuch so gerne mochte und auch Zeit hatte, war dann eine glückliche Fügung.

Im Film verströmt sie eine fast animalische Sinnlichkeit, wie haben Sie ihre Figur gemeinsam erarbeitet?

Diese Körperlichkeit war weitgehend schon im Drehbuch angelegt, sollte also auf jeden Fall eine große Rolle spielen. Von dem ausgehend haben wir die Figur intensiv weiterentwickelt, zusammen mit Ulé Barcelos, unserer Kostümbildnerin. Es ging viel darum, worin in dieser Freizügigkeit die Verschlossenheit liegt. Es ist ja nicht so, dass die Figur ein Wohlsein in ihrem Kostüm ausstrahlt. Erst wenn Christin anfängt sich vom Dorf zu befreien, wird das Kostüm immer weniger anzüglich. Es ging nie darum, Saskia vor der Kamera als Objekt zu fixieren, aber das wurde und wird ja immer noch gemacht. Es ist ja nicht so, dass eine Frau sexualisiert wird, nur weil sie nackt ist oder dass wir uns als Frauen das verbieten müssen, den Körper einer Frau zu zeigen.

Anders als im Buch ist im Film gar nicht so klar, wer die Scheune angezündet hat …

Ehrlich gesagt, ging mir das beim Lesen auch so, dass ich das Gefühl hatte, das passiert alles irgendwie gar nicht oder ist es gerade passiert? Schon da habe ich Christin nicht als boshaft, sondern eher als poetisch empfunden.

Auf dem Land sind die Geschlechterrollen ja meist noch sehr viel traditioneller als in der Stadt, war das ein Thema für Sie?

Unbedingt. Ehrlich gesagt habe ich das teils als sehr krass empfunden, vor allem als ich da mal einen Monat alleine unterwegs war, wie stark das Patriarchat da noch greift und wie ausgeprägt der Sexismus ist, was letztlich auch dazu führt, dass viele junge Frauen weg wollen. Das ist auch schon im Roman sehr präsent.

Auffallend ist, dass Sie Ihre beiden Spielfilme sehr filmisch inszeniert haben, dass die wichtigen Informationen nicht in den Worten liegen. Wer sind ihre filmischen Vorbilder?

Unter den neueren Filmemacher*innen schätze ich Andrea Arnold sehr, mit ihren auch relativ wortkargen Helden, bei denen das, was zwischen den Zeilen mitschwingt, oft viel wichtiger ist als die gesprochenen Worte. Obwohl scheinbar nichts Aufregendes passiert, sind diese Filme dramaturgisch stringent konstruiert und ziehen einen total in einen Sog. Bei den Klassikern mag ich Maurice Pialat. Er schafft, dass ich die Situationen, von denen er erzählt, kenne, dass ich das Gefühl habe, ich sitze bei diesen Leuten im Wohn- oder Schlafzimmer. Das wirkt sehr echt und man kommt den Menschen sehr nah.

„EIN EREIGNIS“

BERLINER ZEITUNG

„SENSIBLES SPIEL“

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

Das Buch zum Film

Der Spiegel-Bestseller von Alina Herbing Jetzt als Taschenbuch
Verlag: Arche
Roman ca. 270 Seiten
ISBN 978-3-7160-4041-6

„Wahrhaftig, kraftvoll, kantig –
man kann diesen Roman
nicht aus der Hand legen.“

Natascha Geier
NDR Kulturjournal

Besetzung

  • Saskia Rosendahl Christin
  • Rick Okon Jan
  • Godehard Giese Klaus
  • Enno Trebs Torsten
  • Peter Moltzen Frank
  • Anne Weinknecht Manuela
  • und als Gast: Elisa Schlott in der Rolle der Caro

Filmschaffende

  • Regie und Drehbuch Sabrina Sarabi
  • Romanvorlage Alina Herbing
  • Bildgestaltung Max Preiss
  • Produzent*innen Milena Klemke, Yvonne Wellie, Jonas Weydemann, Jakob D. Weydemann
  • Producer*innen Jennifer Mueller von der Haegen, Chantal Scheiner
  • Redaktion Andrea Hanke (WDR), Birgit Kämper (Arte)
  • Casting Karen Wendland
  • Szenenbild Susanna Haneder
  • Kostüm Ulé Barcelos
  • Maskenbild Nicole Durovic
  • Licht Arne Weiss
  • Ton Jonathan Schorr
  • Sounddesign Dominik Leube
  • Montage Heike Parplies
  • Mischung Gregor Bonse
  • Musik John Gürtler

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„UNGESCHÖNT“

FILMSTARTS.DE

Hochsommer in der Mecklenburgischen Provinz. Fünf Häuser, eine Bushaltestelle, Kühe und ringsum nichts als Felder. Christin, 24, (Saskia Rosendahl) lebt auf dem Bauernhof ihres langjährigen Freundes Jan, 25 (Rick Okon). Die Aufbruchsstimmung der Nachwendejahre, die ihre Kindheit prägten, ist längst dahin und auch in ihrer Beziehung gibt es schon lange keine Liebe mehr. Ihr Vater säuft.

Den Kirsch hat auch Christin immer griffbereit unterm Autositz. Unter der flirrenden Hitze des Sommers scheint die Zeit stillzustehen. Da taucht Windkraftingenieur Klaus, 46, (Godehard Giese) aus Hamburg auf, und die Welt beginnt sich wieder zu drehen.

Von der Idylle, der Weite, der Enge der Provinz und vom Aufwachsen in Einsamkeit erzählt Sabrina Sarabi (Buch und Regie) in ihrem neuen Kinofilm NIEMAND IST BEI DEN KÄLBERN, nach dem gleichnamigen Erfolgsroman von Alina Herbing.

Interview mit Sabrina Sarabi

Wie sind Sie auf den Roman von Alina Herbing gekommen und was hat Sie daran gereizt?

Ich wollte gerne einen Roman verfilmen, damit fing es an. Nach dem sehr persönlichen ersten Film hat es mich gereizt, einen Stoff zu verfilmen, den ich mir erst zu eigen machen muss. In der Schnittphase von PRÉLUDE habe ich angefangen, ganz viel zu lesen und die ‚Kälber’ hatte mir mein Produzent gegeben. Ich habe das Buch so richtig in einem Rutsch runtergelesen und fand es großartig. Diese merkwürdige junge Frau, die sich so absolut bescheuert verhält, aber etwas total Sanftes hat, hat mich sofort gefesselt. Und im Unterschied zu anderen Büchern, die mir gut gefielen, hatte ich hier sofort den ganzen Film vor Augen.

Nach den ehrgeizigen Selbstoptimierern in PRÉLUDE geht es jetzt in NIEMAND IST BEI DEN KÄLBERN eher um die Ziel- und Orientierungslosen: Sind das für Sie zwei Facetten Ihrer eigenen Generation?

Wahrscheinlich kann man das schon so sagen. Alina Herbing ist Jahrgang 84 und hat im Buch ihre eigenen Erfahrungen mit dem Landleben verarbeitet. Das Drehbuch ist dann wiederum später entstanden, wodurch natürlich wieder neue Einflüsse aus der Gegenwart hinzukommen. Also das hört jetzt nicht bei meiner Generation auf. Dadurch, dass im Osten viel weggebrochen ist, auch was soziale Strukturen auf dem Dorf angeht, und mit dem, was an Arbeit geboten wird, wird es für junge Leute immer langweiliger auf dem Land zu bleiben und gleichzeitig ist die Stadt natürlich in den letzten Jahrzehnten durch das Internet viel näher gerückt als früher. Aber ich glaube diese Ödnis des Landlebens, die gibt es schon lange.

Selbst auf dem Land fällt auf, dass ein Großteil der Kommunikation auf die Handys verlagert ist. Ist das auch ein Kommentar zu Ihrer Generation und den modernen Kommunikationsformen?

Beschäftigt hat mich das schon: überall diese schweigenden Männer, die nie mit Christin reden. Es stimmt schon, da sind oft Geräte zwischengeschaltet. Trotzdem frage ich mich, gab es früher eine Zeit, in der man viel über alles geredet hat? Haben wir uns als Jugendliche mit vierzehn Jahren wirklich über Probleme unterhalten? Und wenn ich meine Großeltern und meine Mutter, die in den 50ern aufgewachsen ist, anschaue, dann haben die sich auch nie wirklich unterhalten, auch wenn das in der Nachkriegsgeneration noch mal andere Gründe hatte.

War die Romanautorin Alina Herbing am Schreiben des Drehbuchs beteiligt?

Gar nicht. Sie hat uns sehr vertraut und wollte auch nicht involviert sein. Aber sie war immer für mich ansprechbar, wenn ich Fragen hatte und hat mir ihr gesamtes Recherchematerial zur Verfügung gestellt. Bevor ich angefangen habe zu schreiben, bin ich alle Orte abgefahren, die Alina inspiriert haben. Ich habe also so eine kleine Roman-Tour gemacht, die sie mir zusammengestellt hatte. Auf Vermittlung von Fritz Habekuss, Redakteur bei der ZEIT, der aus Brandenburg stammt, habe ich dann eine Woche bei seinen Eltern gelebt, richtig auf dem Dorf und ich habe dort auch mehrere Leute kennengelernt, die Bauernhöfe bewirtschaften, aber auch eine Schäferin und eine junge Dorfschullehrerin oder die Bläsergruppe Pritzwalk. Und ich bin dann weiter rumgefahren, alleine. Diese Zeit auf dem Land war am prägendsten für die Geschichte. Irgendwann habe ich Alina eine Drehbuchfassung gegeben, in die sie ihre Anmerkungen geschrieben hat. Das alles habe ich als sehr schönen Prozess empfunden, das Arbeiten mit ihr. Für sie war das etwas Neues, das sich aus ihrem Buch entwickelt hat und sie konnte sehr großzügig loslassen.

Wurden die Stationen dieser Roman-Reise später auch zu den Locations der Verfilmung?

Nein, schon deshalb, weil es viele Orte gar nicht mehr gab. Beispielsweise gibt es an der Stelle des Plattenbaus, in dem der Vater lebte, nur noch eine grüne Wiese.

Während die Geschichte im Roman im Osten Deutschlands verortet ist, wirkt es im Film eher so, wie man es auch aus amerikanischen Coming of Age-Geschichten kennt, die der öden Provinz entfliehen wollen. War das eine bewusste Entscheidung?

Nein, am Anfang habe ich den Roman sehr genau durchgearbeitet, ihn dann aber irgendwann beiseitegelegt. Aspekte, die im Roman sehr präsent sind, traten dann automatisch zurück. Der Roman springt immer wieder in die Vergangenheit, da ist der Osten natürlich präsenter. In der Gegenwart sieht man dann mehr die Auswirkungen.

Der ganze Film wirkt sehr unmittelbar und direkt, sehr aus dem Moment heraus erzählt. Wie haben Sie das visuelle Konzept zusammen mit dem Kameramann Max Preiss entwickelt, mit dem Sie hier auch schon zum zweiten Mal zusammenarbeiten?

Dadurch dass wir schon zusammengearbeitet haben, war Max sehr früh involviert. Wichtig war uns immer, ganz nah an Christin zu erzählen. Anders als bei PRÉLUDE gab es gar keine Auflösung vorab. Ich wollte alles aus dem Moment heraus filmen. Die Schauspieler*innen sollten in ihrem Bewegungsspielraum frei sein, was dann wiederum bedeutete, dass Max unmittelbarer auf Gefühle und Stimmungen reagieren musste. Der ganze Film ist mit Handkamera gedreht, mit der Max aber dennoch sehr ruhige, schöne Bilder geschaffen hat, die demZuschauer bei aller Nähe immer noch Raum für eigene Entdeckungen lassen.

Wie kam es zu dem ja sehr dezenten Score?

Eigentlich wollte ich gar keine komponierte Musik, doch dann hat mein Produzent Jonas Weydemannmir John Gürtler ans Herz gelegt, der auch die Musik für SYSTEMSPRENGER von Nora Fingscheidt geschrieben hat. Die Arbeit war zunächst ergebnisoffen. In einem langen Prozess, der schon während des Drehs im letzten Sommer begann, ist dann diese sehr subtile Musik entstanden, die gar kein klassischer Soundtrack ist, sondern eher ein psychoakustischer Sound, in den die monotonen Geräusche wie das ewige Zirpen der Grillen oder das Rotieren der Windräder eingearbeitet sind.

Das ist schon Ihre zweite Zusammenarbeit mit Saskia Rosendahl.

Bei PRÉLUDE hatten wir nur zwei Drehtage zusammen, haben uns aber so gut verstanden, dass wir beide Lust hatten, wieder zusammen zu arbeiten. Mir gefällt ihre Art zu spielen sehr, diese innere Ruhe, dieses ganz bei sich zu sein. Dass sie das Drehbuch so gerne mochte und auch Zeit hatte, war dann eine glückliche Fügung.

Im Film verströmt sie eine fast animalische Sinnlichkeit, wie haben Sie ihre Figur gemeinsam erarbeitet?

Diese Körperlichkeit war weitgehend schon im Drehbuch angelegt, sollte also auf jeden Fall eine große Rolle spielen. Von dem ausgehend haben wir die Figur intensiv weiterentwickelt, zusammen mit Ulé Barcelos, unserer Kostümbildnerin. Es ging viel darum, worin in dieser Freizügigkeit die Verschlossenheit liegt. Es ist ja nicht so, dass die Figur ein Wohlsein in ihrem Kostüm ausstrahlt. Erst wenn Christin anfängt sich vom Dorf zu befreien, wird das Kostüm immer weniger anzüglich. Es ging nie darum, Saskia vor der Kamera als Objekt zu fixieren, aber das wurde und wird ja immer noch gemacht. Es ist ja nicht so, dass eine Frau sexualisiert wird, nur weil sie nackt ist oder dass wir uns als Frauen das verbieten müssen, den Körper einer Frau zu zeigen.

Anders als im Buch ist im Film gar nicht so klar, wer die Scheune angezündet hat …

Ehrlich gesagt, ging mir das beim Lesen auch so, dass ich das Gefühl hatte, das passiert alles irgendwie gar nicht oder ist es gerade passiert? Schon da habe ich Christin nicht als boshaft, sondern eher als poetisch empfunden.

Auf dem Land sind die Geschlechterrollen ja meist noch sehr viel traditioneller als in der Stadt, war das ein Thema für Sie?

Unbedingt. Ehrlich gesagt habe ich das teils als sehr krass empfunden, vor allem als ich da mal einen Monat alleine unterwegs war, wie stark das Patriarchat da noch greift und wie ausgeprägt der Sexismus ist, was letztlich auch dazu führt, dass viele junge Frauen weg wollen. Das ist auch schon im Roman sehr präsent.

Auffallend ist, dass Sie Ihre beiden Spielfilme sehr filmisch inszeniert haben, dass die wichtigen Informationen nicht in den Worten liegen. Wer sind ihre filmischen Vorbilder?

Unter den neueren Filmemacher*innen schätze ich Andrea Arnold sehr, mit ihren auch relativ wortkargen Helden, bei denen das, was zwischen den Zeilen mitschwingt, oft viel wichtiger ist als die gesprochenen Worte. Obwohl scheinbar nichts Aufregendes passiert, sind diese Filme dramaturgisch stringent konstruiert und ziehen einen total in einen Sog. Bei den Klassikern mag ich Maurice Pialat. Er schafft, dass ich die Situationen, von denen er erzählt, kenne, dass ich das Gefühl habe, ich sitze bei diesen Leuten im Wohn- oder Schlafzimmer. Das wirkt sehr echt und man kommt den Menschen sehr nah.

Das Buch zum Film

Der Spiegel-Bestseller von Alina Herbing Jetzt als Taschenbuch
Verlag: Arche
Roman ca. 270 Seiten
ISBN 978-3-7160-4041-6

„Wahrhaftig, kraftvoll, kantig –
man kann diesen Roman
nicht aus der Hand legen.“

Natascha Geier
NDR Kulturjournal

Besetzung

  • Saskia Rosendahl Christin
  • Rick Okon Jan
  • Godehard Giese Klaus
  • Enno Trebs Torsten
  • Peter Moltzen Frank
  • Anne Weinknecht Manuela
  • und als Gast: Elisa Schlott in der Rolle der Caro

Filmschaffende

  • Regie und Drehbuch Sabrina Sarabi
  • Romanvorlage Alina Herbing
  • Bildgestaltung Max Preiss
  • Produzent*innen Milena Klemke, Yvonne Wellie, Jonas Weydemann, Jakob D. Weydemann
  • Producer*innen Jennifer Mueller von der Haegen, Chantal Scheiner
  • Redaktion Andrea Hanke (WDR), Birgit Kämper (Arte)
  • Casting Karen Wendland
  • Szenenbild Susanna Haneder
  • Kostüm Ulé Barcelos
  • Maskenbild Nicole Durovic
  • Licht Arne Weiss
  • Ton Jonathan Schorr
  • Sounddesign Dominik Leube
  • Montage Heike Parplies
  • Mischung Gregor Bonse
  • Musik John Gürtler